Langfristiger Aktivismus – eine Perspektive

Disclaimer: Dieser Text wurde von Einzelpersonen verfasst und nicht mit der ganzen Besetzung abgesprochen. Es gibt keine autorisierte Gruppe und kein beschlussfähiges Gremium, das ‚offizielle Gruppenmeinungen‘ für die Besetzung beschließen könnte. Die Menschen in der Besetzung und ihrem Umfeld haben vielfältige und teils kontroverse Meinungen. Diese Meinungsvielfalt wird daher hier nicht zensiert, sondern kann gleichberechtigt neben einander stehen. Kein Text spricht für die ganze Besetzung oder wird notwendigerweise von der ganzen Besetzung gut geheißen.

Waldbesetzung 2021. Was ist für dich nachhaltiger Aktivismus und welche Strategien haben sich nach deinen Erfahrungen bewährt nicht auszubrennen?
Also nachhaltiger Aktivismus bedeutet für mich meinen Aktivismus so zu gestalten, dass ich länger also auch noch in 5, 10 Jahren oder 20, 30 Jahren aktiv sein kann. Was ich bisher bei Vielen erlebe, ist dass Aktivismus krass einnehmend sein kann, da es oft um Probleme geht, die jetzt sofort anstehen; beispielsweise wenn ich jetzt nicht in diesem Wald bin, wird er sonst abgeholzt. Der Fakt, dass es so fordernde Phasen gibt, bedeutet aber auch, dass es Phasen geben sollte, wo es ein bisschen ruhiger zugehen kann und Pause gemacht wird und du was tust, was dir selbst gut tut. Und ich glaube, das ist so etwas, was ich erst über die Jahre für mich gemerkt habe. Also am Anfang meines Aktivismus war ich ziemlich schnell ausgebrannt. Ich war dauernd krank, hatte dauernd schnupfen, weil ich von einen Wochenende zum nächsten gehetzt bin, weil es ständig Veranstaltungen gab und noch was und noch was. Das war auf Dauer zu viel. Jetzt inzwischen mache ich es so, dass ich immer nach Situation gucke. Dann geht das auch, dass ich bei einem Camp, vielleicht auch mal eine 12 Stunden Schicht mache, aber ich nehme mir danach auch die Zeit, um ein bisschen herunter zu kommen. Es ist glaube ich da einfach wichtig, zu gucken, wie sich das gut ausbalancieren lässt.
Was da für mich auch mit reinspielt ist, dass ich mir auf Dauer Strukturen aufbauen möchte, die mir helfen langfristig aktiv zu bleiben. Für mich bedeutet das, dass ich gerade eine gemeinsame Ökonomie mit Menschen gestartet habe, also dass alles Geld, dass wir einnehmen, zusammen in einen Topf schmeißen und uns aus dem gleichen Topf alles was wir zum Leben brauchen rausnehmen. Das zwingt mich einerseits regelmäßig Kontakt mit Menschen zu haben, die aktiv sind und irgendwie einen ähnlichen Lebensstil haben wie ich und gleichzeitig ermöglicht es mir auch mal irgendwie zu sagen, hey ich habe gerade kein Bock mehr, mir den Stress mit dem Job Center zu geben, oder hey ich habe gerade keinen Bock mehr arbeiten zu gehen, sondern möchte irgendwie gerade die Zeit anders nutzen und hab dadurch dann einen gemeinschaftlichen Rückhalt, also Leute im Rücken die mich dabei supporten.

Gestern hattest du auch erzählt, dass du schon mal in die Richtung an einem Workshop zu teilgenommen hast und wir hatten über die aktuell verwendeten Begriff gesprochen.
Ja, also die Formulierung Nachhaltiger Aktivismus an sich mag ich nicht so gerne, weil es ein neokapitalistischer Begriff ist und im Grunde bedeutet es auch, Hey irgendwie passiert scheiße und wir sorgen jetzt dafür dass es einfach weiter passiert aber in „Nachhaltig“ und dass sich alles beim Status quo festbeißt. Was ich stattdessen lieber mag ist der Begriff regenerativer Aktivismus, also das wir beim Aktivismus Kraft und Energie schöpfen können. Wo sich alles immer wieder neu erschafft anstatt das es beim Alten bleibt.

Wie war es für dich, wenn es Rückschläge gab. Der Aktivismus ist ja meist sehr zäh. Auch im allgemeinen Erfolg, was bedeute das für dich. Welche Perspektive hast du da?
Ich glaube Aktivismus muss immer langfristig betrachtet werden. Das ist halt oft ein Problem dabei, dass es selten so eine klare Aktion Reaktion Kette gibt. Es ist selten so, dass wenn wir den Wald besetzen, der Wald sofort stehen bleibt und es irgendwie erledigt ist. Sondern ich glaube, dass Aktivismus eher dazu beiträgt gesellschaftliche Normen zu verschieben. Sodass selbst, wenn es mal nicht gelingt eine Abholzung von einem Wald aufzuhalten, es immer noch ein Einfluss auf die Leute hat, die entschieden haben und sie sich das nächste Mal und die nächsten 5 Male, doppelt und dreifach überlegen werden, ob sie das noch machen und sich den Widerstand wieder geben wollen, und das sind halt die Male die wir heute nicht sehen. Zum Beispiel die ganzen Wiesen, wo Atomkraftwerke nicht gebaut wurden, da ist kein Schild dran, dass es irgendwann ein Kraftwerk hätte werden sollen. Das ist halt einfach inzwischen Wiese geworden.
Weiteres Problem ist, dass Aktivismus oft über Jahre und Jahrzehnte hinweg verläuft. Also die ersten Jahre im Hambi waren wir teilweise im Winter so 5-10 Leute, also genau wie hier in der Waldbesetzung und es ist ja am Ende riesig geworden. An einem Tag waren plötzlich über 50.000 Menschen da. Und das ist halt nur möglich weil halt Jahre davor die Menschen immer wieder dageblieben sind und es aufrechterhalten haben über Jahre hinweg. Natürlich gab es im Laufe der Jahre viele frustrierende Momente. Ich hab die ersten paar Winter jeden Winter geglaubt, dass wir den Winter nicht überstehen. „so okay, das ist jetzt der Winter, wo wir geräumt werden, dann ist der Wald bald weg“ und diese Frustration auf Dauer aufzuhalten ist gar nicht so einfach.

Wie konntest du das, für dich lösen?
Die Sache ist halt, wenn ich nicht da wäre, wäre es vielleicht noch viel beschissener. Wenn ich nicht da wäre, wäre der Wald vielleicht nicht in einem Monat weg, sondern schon vor 5 Jahren gefällt worden. Das ist halt so der Bogen. Wir merken manchmal nicht so genau was wir bewirken, aber diese Vorstellung wie viel beschissener es sein könnte, wenn ich nichts tun würde, das ist schon etwas was mich antreibt und an der Stange hält. Und der Fakt wie viel beschissener die Welt hätte sein können, wenn es keine Aktivist*innen geben würde.

In welchen Bereichen hast du den Eindruck, dass es diese Diskursverschiebungen gibt. Also was ist jetzt erreichbar, was früher nicht möglich war? Wo ist die Politik sensibler geworden, insbesondere auch bezüglich Awareness, Diskriminierungen?
ich find das bisschen schwierig, ich selber bin erst seit knapp 10 Jahren dabei, also ich glaube das ist nicht der Zeitraum, in der die krassen Veränderungen passieren. Aber was schon bemerkbar ist, dass beispielsweise Genderthemen und Beziehungsformen heute viel selbstverständlicher sind als noch vor ein paar Jahren. Und ich das Gefühl hab, dass Sachen über die man vorher noch viel erklären musste, heute klar sind. Es ist natürlich schwer greifbar, aber Ich glaube, dass ist so ein bisschen dieses Ding, dass Diskussionen geführt werden und die immer anstrengend sind und viel Energie ziehen und du irgendwann feststellst, okay ich muss zu bestimmten Themen nicht mehr diskutieren, weil es jetzt eine andere Selbstverständlichkeit dazu gibt. Dies also zum Beispiel als Art von Normverschiebung.

Ein Nachtrag zum Schluss, über schriftlichen Austausch kam schließlich noch die Frage auf, „wie mit der Gesundheitsversicherung umgehen?“. Oft ist ja die mangelnde Finanzielle Sicherheit oder die fehlende solidarische Perspektive ein Grund, warum Menschen ihren Aktivismus aufgeben. Welche Möglichkeiten kennst du, um aktivistisch zu leben und trotzdem auch nach dem Kindergeld krankenversichert zu sein?
Das haben viele Menschen unterschiedlich gelöst. Die einen gehen Jobben, die anderen haben Hartz 4, heiraten oder kennen Solidarische Leute, die den Beitrag für einen zahlen. Wichtig ist es aufjedenfall eine nice Community zu haben, die auch auffangen kann, wenn es mal drunter und drüber geht. Also eine solidarische Ökonomie oder ein Wohnprojekt, stabile Bezugspersonen und Bezugsgruppen zu haben, und im allgemeinen ein gutes Netzwerk. Das macht schon viel aus.

Dann danke fürs Teilen!

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