Der Wald ist besetzt – und nun?

Dieser Text wurde von einer Einzelperson aus der Besetzung heraus geschrieben. Er spiegelt somit auch nur die subjektiven Meinungen und Ansichten einer Einzelperson und keinesfalls die einer Gruppe oder Bewegung wieder.

Seit beinahe zwei Wochen ist der Wald besetzt. Menschen haben Plattformen in Bäumen errichtet und in und um den Wald Strukturen aufgebaut. Blockadestrukturen klar, aber vor Allem auch (und das gilt es meiner Meinung nach jetzt, für uns anzugehen) Strukturen, um eine längerfristige Existenz hier für uns zu ermöglichen.

Wir sind hier im Dannenröder Wald um Widerstand zu leisten. Widerstand gegen ein in vielerlei Hinsicht wahnsinniges Bauprojekt, das einen immensen Schaden an Mensch und Umwelt mit sich tragen würde – kein A49- Ausbau. Aber viel mehr als nur um dieses Zerstörungsprojekt zu blockieren und zu verhindern (welches global betrachtet nur eine Gräuslichkeit unter tausenden darstellt) bin ich hier um Forderungen nach einer Verkehrswende Nachdruck zu verleihen.

Dabei geht es natürlich auch darum den Ausbau der A49 zu stoppen, sowie einen Abriss bzw. Rückbau des bereits existierenden Teilabschnitts zu fordern jedoch viel allgemeiner um ein Umdenken in Fragen nach Mobilität, eine Umstrukturierung von Verkehr und Städteplanung und ein Um-Handeln von entschlossenen Menschen, die sich für eine Verkehrswende jetzt mit der Radikalität einsetzen, die das Thema braucht.

Auch schaffen wir im Rahmen einer solchen Besetzung einen neuen Frei-Raum; ein sozialer, öffentlicher und kommunikativer Raum, der sozial und strukturell organisiert werden will. Eine solche Besetzung, wie die des Dannenröder Waldes bringt menschliches Leben in einen Raum, der vorher nicht von Menschen bewohnt war. Dadurch besteht zunächst ein immenser Gestaltungsspielraum für soziale Prozesse und Organisierung. Und diese Prozesse und Organisierung möchte ich von Anfang an utopisch und konkret gestalten.

Wenn ich eine Verkehrswende möchte, dann brauche ich Alternativen zum Auto.

Und wenn ich den Kapitalismus abschaffen möchte, dann brauche ich Strukturen, die besser funktionieren, die attraktiver sind. Und diese Alternativen möchte ich bereits im Prozess schaffen, ich möchte den Prozess „alternativ“ organisieren. Guter, effektiver und nachhaltig wirkender Widerstand braucht nicht nur möglichst viele Baumhäuser und Lock-Ons, sondern funktionierende soziale, materielle und strategische Organisierung, braucht Kreativität, Diskussionen und Debatten, braucht Formulierung von Zielsetzungen und Aufbau und Umsetzung von Utopien.

Denn wo stehen wir sonst, wenn die Besetzung vorbei ist? Wenn wir einen Baustopp für die Autobahn erwirkt haben oder bei der x-ten Räumung endgültig aus dem Wald geprügelt werden, was bleibt uns dann? – Uns bleiben Erfahrungen, die wir gemeinsam gemacht haben, Ideen die wir geteilt, Fähigkeiten, die wir uns gegenseitig gelehrt haben und der Funken an Gewissheit, dass Leben auch außerhalb der staatlich-gesellschaftlich-normativen Ausbeutungsstrukturen, auch außerhalb des Bilderbuchlebenslaufs von Schule, Studium über Arbeit ins Altersheim funktionieren kann.

Ich möchte nicht die Erfahrung machen, dass wir mit unserem Projekt im Chaos versinken, ich möchte nicht die Erfahrung machen, dass wir aus Angst, Gleichgültigkeit oder Bequemlichkeit auf bestehende Strukturen von Herrschaft, Eigentum, Dominanz und Tauschlogik zurückgreifen, sondern möchte innerhalb des Projektes mit Strukturen experimentieren, die meine Utopie widerspiegeln.

Und die Erfahrungen, die wir hier sammeln tragen wir weiter in andere Projekte.

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