Wo stehen wir und wo kommen wir her? Ein Blick in die Vergangenheit –
Viele Fehler die wir machen, wurden schon etliche Male gemacht und wir werden nicht die ersten und nicht die letzten sein, die sich dabei zerspalten lassen oder frustriert aufgeben oder von vorne anfangen und neue Wege und Experimente wagen. So manch eine Alttagssituation, in der wir uns isoliert und vereinzelt fühlen, verbindet uns mit so vielen Generationen vor uns. Grade dadurch ist es so bedeutend, dass wir uns Wissen aneigenen, welche Wege arachistische autonome und widerständige Menschen vor uns genommen haben, um zu verstehen, woher unsere Aktionsformen und unsere Werte herkommen, welche Herausforderungen es anzugehen gilt und wie unser Widerstand im historischen Kontext eingebettet ist, besonders um es auch zukünftige Aktivisti zugänglich zu machen, sodass sie informiertere Entscheidungen treffen können und sich mit all der Erfahrungen anderer Generationen im Rücken gestärkt fühlen können.
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Waldbesetzungen, (im Internet oft auch als Baumbesetzungen oder Tree sitting zu finden) gab und gibt es an unterschiedlichsten Orten und Umgebungen und wurden von vielen verschiedenen Aktionen inspiriert und oftmals auch völlig unabhängig ausprobiert:
- …
- Menschen, die verhindern wollten, dass ein bestimmter Baum gefällt werden sollte, gingen kurzerhand einfach selbst in die Bäume, manchmal für ein paar Stunden, manchmal mehrere Tage. Dies war sicherlich für viele intuitiv und brauchte kein Vorwissen und kein „Forest Occupation Movement“.
- Ähnlich verliefen auch die Feld-, Haus- und Landbesetzungen, die mit Blockaden und Hütten sowie Sabotage den Ort verteidigen und vor Zerstörung und Kapitalinteressen schützen wollten (wie die indigenen Proteste um Land und Boden, die jeher sich verteidigen gegen koloniale Verstaatlichung oder wie die Proteste rund um Earth First in Canada zeigen).
- In Großbritanien hatten diese Aktionsformen große Auswirkungen auf die aktivistische Szene. Neben diesen einzelnen Baum und Flächenbesetzungen entstanden in Großbritanien schließlich „Tree Villages“ mit selbstgebauten Häusern in den Bäumen (in den Baum/Waldbesetzungen vorher, hatte es bisher nur kleine Plattformen auf den Bäumen gegeben).
- Auch anderorts trafen diese Proteste auf Wiederhall und neben der Waldbesetzungsbewegung wurde später auch organiserte Sabotage mit der Earth Liberation Front größer und größer)
Doch zurück zu Großbritanien, dort ereigneten sich eine Vielzahl an wiederständigen einprägenden Besetzungen und davon erzählt der folgende Ausschnitt des Road Ragings Zines dass im Danni veröffentlicht wurde:
„In den 1990er Jahren entstand in Großbritannien eine große Bewegung gegen das Stra-
ßenbauprojekt der damaligen konservativen Regierung. Tausende von Menschen haben
direkte Aktionen und Demonstrationen durchgeführt, Baumhäuser gebaut, Barrikaden
errichtet, Tunnels gegraben, Maschinen besetzt (oder lieber direkt verbrannt/sabotiert),
und zahlreiche andere Formen des Widerstands ausgeübt. Viele Kämpfe wurden verloren,
und einzelne Straßen wurden gebaut. Doch am Ende siegte die Bewegung: aufgrund der
öffentlichen Meinung und des finanziellen Drucks durch die zahlreichen Räumungen und
Sabotageaktionen musste die Regierung ihre Pläne fallen lassen. In dieser Zeit enstand
zum ersten mal die Waldbesetzung wie wir sie heute ungefähr kennen.
In diesem Text möchte ich einen Einblick über die Hintergründe, Motivationen und Aus-
wirkungen dieser Bewegung gewähren, und euch die Geschichten einiger Kampagnen
erzählen.
1989 kündigte die Regierung das
“größte Straßenbauprojekt seit den Römern” an, mit geschätzten Kosten in Höhe von 23
Milliarden Pfund. Hinter diesen Plänen steckte die thatcheristische Agenda, den privaten
Besitz von Autos und damit die gesamte “Autokultur” massiv voranzutreiben. Im Dezember
1991 lehnte Großbritannien Aufrufe der EU ab, mehrere Straßenpläne neu zu bewerten.
Kurz danach begann im Twyford Down die direct Action Kampagne der Anti-Straßen-Be-
wegung.
Schon seit Jahrzehnten hatte es Widerstand auf legalem Weg gegen den Ausbau des M3
gegeben, aber diese Strategie hatte keinen Erfolg gehabt. Im Februar 1992 begann die Be-
setzung der Downs durch EarthFirst! und den Dongas Tribe, die den Bau mit Taktiken wie
zivilem Ungehorsam, Sabotage, und Baustelleninvasionen zu stoppen versuchten. Anfangs
gab es viel Reibung zwischen diesen Gruppen, die nicht zögerten Gesetze zu brechen, und
konventionelleren Organisationen wie Friends of the Earth (FoE), die sich ebenfalls lange
gegen den Straßenbau eingesetzt hatten, aber sich viel mehr innerhalb des gesetzlichen Rah-
mens bewegten. Im Laufe der Zeit näherten sie sich an. Am 2 Juli kamen 1500 Menschen bei
der größten Demonstration im Twyford überhaupt zusammen, ein Massen-Landfriedens-
bruch gegen das “Criminal Justice Bill” Gesetz. Zahlreiche Gruppen waren vertreten, wie
FoE, Greenpeace, Liberty, EarthFirst! und die grüne Partei.
Am 13ten September 1993 begann die Konstruktion der M11 Link Road in London, und
direkt vom ersten Tag an gab es Protest dagegen. 350 Häuser und viel grünes Land sollten
dem Straßenbau weichen. In dieser Kampagne vereinten sich die Kämpfe für Umwelt-
schutz und soziale Gerechtigkeit. Zusammen mit der wachsenden direct Action Bewegung
haben verschiedenste Leute aus der Gegend Häuser besetzt und verbarrikadiert, Bäume
verteidigt, und gewaltfreie Aktionen und Sabotage gegen den Straßenbau ausgeführt.
In Claremont Road nahmen sich die Aktivistinnen die Straße zurück und machten sie zum erweiterten Wohnraum. Viele neue Verteidigungstaktiken wurden zum ersten Mal in Großbritannien benutzt, wie Netze, Lock-ons, einen aus Gerüsten gebauten hohen Turm, und einen Tunnel, um während der Räumung alle möglichen Ressourcen einzu- schmuggeln. Pressearbeit und Automedia waren auch wichtige Teile dieser Kampagne, und das Medienkollektiv “undercurrents” dokumentierte den Protest und organisierte das “Camcorder Action Network”, um Videoaktivistinnen im ganzen Land zu vernetzen.
Claremont Road wurde im November 1994 geräumt; das letzte Haus auf der Route wurde
im Juni 1995 geräumt.
In Schottland wurde 1994 der “Pollok Free State” ausgerufen gegen die Erweiterung der
M77 die durch Pollok Country Park in Glasgow geplant war. Besonders an dieser Kampa-
gne war, dass sie hauptsächlich von den lokalen Arbeiterklassengemeinschaften geführt
wurde, deren Gesundheit und unmittelbare Umwelt bedroht waren. Auch die örtlichen
Schulkinder streikten und demonstrierten gegen den Verlust ihres Naturraums. Vom
Straßenbau sollten vor allem Wohn- und Einkaufsviertel der Mittelschicht sowie Autobe-
sitzer im Allgemeinen profitieren. Im Gegensatz dazu würde es den vom Bau betroffenen
lokalen Gemeinschaften, wo der Autobesitz sehr gering war, kaum dienen. Ihr Zugang
zum Park würde durch die Straße unterbrochen werden und 5,000 Bäume sollten fallen.
In Newbury, Devon, sollten 9 Meilen Natur, darunter viele Wälder, einer sechsspurigen
Straße weichen. Die A30 war die zerstörerischste Straße von allen, allein wegen ihrer
Größe, aber auch weil die Landschaft voller unersetzbarer Lebensräume und seltener,
fragiler Ökosysteme war. Die Kampagne wurde zu berühmteste Antistraßenkampagne
überhaupt. Im September 1994 begannen die Rodungsarbeiten, aber der entschlossene
Widerstand brachte den Transportsekretär dazu, im Dezember den Bau der Straße für 7
Monate auf Eis zu legen. Entlang der geplanten Strecke sprießten Baumhäuser überall
hervor. Am Ende waren es 14 Waldbesetzungen. Im November 1995 begann die nächste
Rodungssaison, unter dem Schutz von rund 12.000 Sicherheitsbeamten.
Am ersten Tag überraschten die Demonstrant*innen in dem
sie die Security-Zufahrtsstraße mit 8-Meter hohen Tripods
blockierten, eine Taktik, die zuvor in Australien bei
Anti-Abholzungsprotesten benutzt wurde. An diesem Tag
konnte keine Arbeit durchgeführt werden.
Neben den Tripods wurden viele andere sehr interessante
Techniken zum ersten mal in diesen Waldbesetzungen ausprobiert. Der Tunnel als
Verteidigung wurde in Newbury mit großem Erfolg eingesetzt, und wurde dank seiner
extremen Wirksamkeit zum Standard im britischen Besetzungsrepertoire.
Dies ist vielleicht ein guter Punkt, um einen weiteren Aspekt zu erwähnen, nämlich
den der antinationalen Vernetzung und Wissensweitergabe. Viele Aktivistinnen waren aus ganz Europa angereist, um sich der Anti-Straßen-Bewegung anzuschließen, und sie brachten Inspirationen und Techniken mit nach Hause. So entstanden in dieser Zeit die Aktionen von Groenfront in Holland/Belgien, und auch erste Earth First!-Stil Waldbeset- zungen im Deutschland in Thüringen und Freiburg. Ein weiteres Beispiel ist die weltwei- te Verbreitung von Aktionsformen wie Reclaim the Street. Dieser Austausch dauert bis heute an. 2009, bei der Waldbesetzung von Kelsterbach, brachte eine Gruppe aus England die Technik des Tunnelbaus nach Deutschland, und seitdem haben Tunnel der deutschen Polizei mehrere lange Räumungen beschert. Die Anti-Straßen-Bewegung selbst wurde sehr stark von Taktiken wie Tree-sitting beeinflusst, die zuvor in Aotearoa, Australien und Nordamerika eingesetzt worden waren, aber auch durch Taktiken des Friedensbewe- gung, Earth First!, und anderer. Diejenigen, die vor uns kamen, sammelten eine Menge Werkzeuge und Erfahrungen. Deshalb ist es ganz entscheidend, dass wir dieses Wissen teilen und voneinander und von unserer Geschichte lernen.
Aber zurück zu Newbury. Trotz massivem Protest wurde der Straßenbau durchgeführt. Aber die Bewegung wuchs. Im Februar 1996 kamen 8.000 Menschen zusammen, um zu demonstrieren. Die Proteste wurden auch in der Bevölkerung immer beliebter. Die öffentliche Meinung über Straßenbau kippte immer mehr dagegen. Eine weitere wichtige Rolle in dieser Geschichte spielte der Widerstand gegen die Crimi- nal Justice Bill von 1994. Dieses Gesetz war ein Angriff auf die Rave-Szene, die Anti-Stra- ßen-bewegung, und alle Travellers, u.A. durch Kriminalisierung von Raves und Landfrie- densbruch, sowie die Aufhebung früherer Gesetze, die die Gemeinden verpflichtet hatten, Stellplätze für Sinti&Roma und andere Nomaden zur Verfügung zu stellen. Alle Versammlungen von mehr als zehn Personen, die Musik hörten, die “hauptsächlich… aus repetitiven Rhythmen” bestand, waren verboten. Tatsächlich kamen viele der Straßengegner aus der Rave- und New Age Traveller Szene, manchmal auch “crusties” gennant, dessen “Peace Convoy” seinerseits seit Jahrzehnten viel Gewalt und Repression seitens des Staates erlitten hatte (das bekannteste Beispiel ist die “Battle of the Beanfield” bei Stonehenge). Der Widerstand regte sich im ganzen Land, vom nördlichsten Schottland bis zum englischen Kanal, und durch diese massive Mobilisierung enstanden vielfältige Bündnisse und Intersektionalitäten.
Nach dieser Zeit gab es immer mehr Reclaim the Streets (RTS) Aktionen, wo manchmal bis zu 8000 Menschen Straßen besetzten und Raves feierten. Diese Gruppe wurde erst- mals 1991 durch Earth First! gegründet, und bildete sich in dieser Anfangszeit der Anti- straßenbewegung. RTS versuchte, Verbindungen zwischen verschiedenen Kämpfen und Themen herzustellen. 1996 begann ein Bündnis zwischen RTS und entlassenen Hafen- arbeitern aus Liverpool, das in einer Hafenbesetzung mündete. Die entsetzlichen Machenschaften von Shell in Nigeria brachten die Anti-Straßen-Be- wegung dazu, mehr gegen Menschenrechtsverletzungen und die globalen Auswirkungen des Kapitalismus zu unternehmen. Im 1997 startete die Kampagne “100 Tage Aktion” gegen die gesamte Ölindustrie und alles, was sie mit sich bringt. Viele Gruppen, u.A. RTS, FoE, EarthFirst!, Greenpeace & Delta, waren involviert.
Am 16 Mai 1998 fand die erste globale Straßenparty, unter dem Motto “Unser Wider- stand ist so Transnational wie das Kapital”. In sechzig Ländern tanzten die Leute auf den Straßen. Antikapitalistische Bewegungen in der ganzen Welt vernetzten sich und begannen zum ersten Mal, ihre Kräfte zu vereinen und zu koordinieren. Am 18 Juni 1999 organisierte RTS den “Carnival Against Capital” in London, als lokalen Teil des welt- weiten Widerstand gegen das G8-Treffen im Köln. Banken und finanzielle Institutionen wurden besetzt und Straßen lahmgelegt. All dies war auch ein wichtiger Impulsgeber für die große Mobilisierung in Seattle gegen die WTO im November 1999. Ganz unterschiedliche Leute haben sich an den Antistraßenprotesten beteiligt, Anar- chistinnen und Konservative, EarthFirst! Aktivistinnen und besorgte Einwohnerinnen,
alt oder jung, nomadisch und sesshaft. Es gab dementsprechend viele verschiedene Visio-
nen und Gründe, warum sie an den Protesten teilnahmen. Besonders am Anfang war der
Schutz von Naturorten eine sehr verbreitete Motivation. Gleichzeitig wurde der Wider-
stand gegen die gesamte Autokultur und ihre vielfältigen Auswirkungen immer stärker.
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Twyford Downs Dongas Tribe glaubte an und lebte eine Rückkehr zum nicht-motorisier-
ten Nomadendasein und zur Verbindung mit der Erde. Wie oben erwähnt, fanden ziem-
lich schnell immer mehr Zusammenhänge Beachtung, z.B. die Annäherung an Themen
wie Sozialgerechtigkeit und Wohnraum in London während der Anti-M11 Kampagne.
Earth First! war ein sehr prägender Teil und Einfluss in der Bewegung, und Ablehnung
von und Aktionen gegen das gesamte kapitalistische System waren sehr verbreitet.
Reclaim the Streets war auch Ausdruck eines weiteren Anliegens, der Zurückeroberung
des öffentlichen Raums, und der Kampf gegen Individualismus und Privatisierung. Die
globalen Implikationen der “Car Culture” kamen auch ins Visier des Protests, und es
wurden globale Aktionen und Kampagnen auf die Beine gestellt.
Die Bewegung benutzte hauptsächlich gewaltfreie Methoden. Ein kontroverser Punkt
war damals wie heute ob dies eine taktische oder moralische Entscheidung war. Beide
Sichtweisen hatten viele Befürworter*innen, aber weil es allgemein anerkannt war, dass
Gewalt in den meisten Fällen strategisch unklug war, war der Widerstand überwiegend
“friedlich”. Fast alle waren sich einig dass Sach-
beschädigung nicht zur Kategorie der Gewalt
gehörte, und Sabotage war ein wichtiger Teil des
Kampfes.
Eine Taktik die Zentral bei Waldbesetzungen ist, ist die der „fabrizierten Verwundbar- keit, bei der eins seinihr Leben und seine*ihre Sicherheit in die Hände des Gegners legt.
Dieses Konzept hat sich im Laufe der Jahre sehr viel weiterentwickelt. In diesen Tagen
denke ich auch insbesonders an die gefährlichen und gewaltvollen Polizeieinsätze, und
ähnliche Situationen damals und frage mich, ob wir aus dieser Zeit nicht etwas lernen
könnten, das uns helfen würde, jetzt darauf zu reagieren. Damals wurde die Polizei durch
professionelle Kletterer/Tunneler ersetzt, und insgesamt wurden die Räumungen sicherer.
Manchmal frage ich mich, ob es in unserem Interesse wäre, auf dieses Beispiel hinzuwei-
sen und darauf zu pochen, dass, weil es möglich ist, Räumungen sicherer zu gestalten, da
alles andere mutwillig Schwerverletzte und Tote in Kauf nimmt.
Im November 1995 kündigte die Regierung die Aussetzung von 300 Straßenbauprojekten
an, und als Labour 1997 an die Macht kam, wurden auch die übrigen Pläne gestrichen.
Die Waldbesetzung/direkte Aktion Bewegung suchte neue Ziele aus, z.B. gegen den Aus-
bau des Flughafens von Manchester oder auch gegen den Kohletagebau. Die Bewegung
lebt immer noch weiter.
Die Proteste und die Verbindungen die durch sie entstanden sind hatten und haben
immer noch weitreichende Auswirkungen, in Großbritannien und in der ganzen Welt.
Es lohnt sich auf jeden Fall, aus den Erfahrungen der Vergangenheit zu lernen und zu
verstehen, wo wir stehen und wo wir herkommen. Diese Kontinuität und Wissensweiter-
gabe ist für eine starke, langfristige, und reflektierte Bewegung von zentraler Bedeutung.“