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Die Vorgeschichte – Amtsgericht Alsfeld (1. Instanz)
Am 13.01.2022 gab es den ersten Verhandlungstag vorm Amtsgericht Alsfeld, dort wurden ein Verfahren gegen mich wegen §113 Widerstand (anketten mit Lock-On) und eins wegen §125 Landfriedensbruch während der Danni Räumung zusammengelegt. Wegen dem Landfriedensbruch hatte ich vorher einen Strafbefehl von 30 Tagessätzen bekommen gegen den ich Widerspruch einlegte, damals als ich im Wald als ich festgenommen wurde hatte ich sogar eine Haftprüfung ob ich in Uhaft soll wegen der Geschichte+ Personalienverweigerung, allerdings wurde ich in der ED Behandlung identifiziert,wegen dem Widerstand hatte ich direkt eine Anklageschrift bekommen.
Zur Hauptverhandlung waren ursprünglich insgesamt 11 Zeugen geladen. An meiner Seite hatte ich eine befreundete Person von mir die als Laienverteidigung angenommen wurde und einige Leute waren im Zuschauerbereich. Es stellte sich in unserer Befragung recht schnell heraus, dass die Zeugen die den Landfriedensbruch im Barrio Drüben zu Beginn der Räumung bezeugen sollten, alle ziemlich wenig Ahnung hatten. Genaue Gewalttaten und meine Beteiligung daran konnten sie nicht bezeugen, darunter auch eine Geschichte von 20 Leuten die sich gleichzeitig mit Raketen und Rauchtöpfen aus einem Baumhaus abseilten und auf die Cops los rannten (das war natürlich nicht so:D). Es gab also für den Landfriedensbruch einen Freispruch und für den Widerstand auch, denn während der Räumung mit dem Lock-On hatte die Person Personalien verweigert und wurde im Nachhinein durch „Superrecognizer“ identifiziert. Diese haben allerdings keinen Gutachten Status und es reichte nicht aus um festzustellen dass die Person im Lock-On wirklich die Angeklagte Person war. Die richtende Person hat gefühlt unser Argument gerne übernommen um freizusprechen und ergänzte noch dass sie bei dem Festketten keine Widerstandshandlung sehe.
Zweite Instanz – Landgericht Gießen
Gegen den Freispruch wegen dem Widerstand zog die Staatsanwaltschaft in Berufung, da es eine andere Rechtsauffassung als das damalige Richti habe bzgl. des Festkettens habe.
Im Zwischenverfahren beauftragte dann Richti Nink (LG Giessen) ein Anthropologisches Sachverständigen Gutachten für 1500 Euro, welches feststellen soll ob es sich bei der Person im Lock-On um die Angeklagte Person handelte. Dies kam dann zu dem Schluss dass es sich mit an „Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ um die Angeklagte Person handelt.
Am 18.11.2021 gab es den ersten Verhandlungstermin vorm Landgericht Gießen. Zusätzlich zu meiner einen Wahlverteidigung beantragte ich noch zwei weitere Freunde als Laienverteidigis, die auch angenommen wurden. Der Saal war dekoriert mit einer Regenboden Flagge und mit deinem kleinen Bäumchen in einem Blumentopf wo WaldStattAsphalt dran stand. Den ersten Tag verbrachten wir mit einer sehr ausgiebigen Zeugenbefragung. Es kam heraus, dass sie sich das Lock-On nicht so genau angeschaut hatten und nicht wussten ob oder wie ich darin befestigt bin. Von irgendwelchen Rechtsgrundlagen von ihrem Einsatz hatten sie keine Ahnung.
Nach der Zeugenbefragung und einigen anderen Verfahrens-Anträgen war es schon später Nachmittag und die Verhandlung musste an einem anderen Tag fortgeführt werden. Da der große Saal (wegen Zuschauenden reichte ein kleiner Saal nicht) und die Staatsanwaltschaft nicht am selben Tag innerhalb drei Wochen Zeit hatten (wenn länger als drei Wochen unterbrochen wird muss von vorne verhandelt werden) wurden zwei Schiebetermine festgesetzt um dann am 02. und 03. Januar weiter zu verhandeln. Die Schiebetermine dauerten jeweils nur 15 Minuten, da zu einem davon die Angeklagte Person nicht erschien machte dass nochmal großen Wirbel (Polizisti die bei der Meldeadresse nach der Angeklagten suchten, ein Vorführhaftbefehl..).
Am 02. Januar ging es dann weiter. Es wurden insgesamt 34 Beweisanträge (Was sind Beweisanträge?: https://www.projektwerkstatt.de/index.php?domain_id=1&p=10083) von uns (mir und meinen Verteidiger*innen) gestellt. Es ging um verschiedene Themen, einmal dass die Allgemeinverfügung welche rechtliche Grundlage der Räumung war auf einem Gesetz zum Schutze des Waldes (HessWaldG §1) basierte und demnach rechtswidrig war. Dann ging es weiter darum, dass die Leute im Wald und auf den Bäumen sich versammelten und somit unter dem Schutz des Artikel 8GG standen.. deshalb darf die Polizei nicht einfach Leute räumen bevor diese von der Versammlung ausgeschlossen oder diese aufgelöst wurde, dass wird auch „Polizeifestigkeit“ von Versammlungen genannt. Deshalb mussten wir über unsere Beweisanträge einführen, dass die Kriterien einer Versammlung erfüllt waren (Meinungskundgabe, unter freiem Himmel, mehrere Personen,…) und dass diese nicht aufgelöst wurde. Es ging auch darum , dass auch wenn die Versammlung in eine Verhinderungsblockade übergegangen wäre, sie trotzdem hätte aufgelöst werden müssen. Hintergrund ist, dass man Widerstand nach §113 StGB leisten darf, wenn die Diensthandlung (die Räumung der Person) nicht rechtmäßig ist, allerdings bezieht sich die Rechtmäßigkeit einer Diensthandlung in diesem Falle nur auf die formelle Rechtmäßigkeit (Förmlichkeiten wie Belehrung, Versammlungsauflösung,..eingehalten, zuständiger Beamte,… und nicht darauf ob die Rechtsgrundlage, in dem Falle die Allgemeinverfügung, rechtmäßig war, damit sich die Gerichte nicht mit der Prüfung der materiellen Rechtsgrundlagen auseinandersetzen müssen). Auch wenn die Diensthandlung als rechtmäßig angesehen werden sollte, war ein Festketten unserer Meinung nach trotzdem Gerechtfertigt wegen dem Rechtfertigenden Notstand nach §34 StGB welcher besagt, dass man sich rechtswidrig verhalten darf wenn man damit wichtigeres Schützen möchte. Die schweren Umweltfolgen des Autobahnbaus, zB auf das Grundwasser der Region, auf Luftverschmutzung durch mehr Verkehrserzeugung, Bodenversiegelung, etc… rechtfertigen Protest ob legal oder illegal. Wir wissen, dass dafür Gerichte (fast) nie freisprechen, doch trotzdem ist es uns wichtig die negativen Folgen des Autobahnbaus im Prozess einzubringen.
Insgesamt wurden fast alle Beweisanträge zurückgewiesen, das ist normal und auch nicht immer nachteilig, den man macht es der richtenden Person schwierig ein Urteil zu begründen, weil sie sich in der Ablehnung der Anträge trotzdem ständig festlegen muss. Es ist auch in Hinblick einer Revision wichtig alle Argumente einzubringen. Desweiteren kann man auch im Rahmen der Beweisanträge weitere Themen einbringen über die man es wichtig findet zu reden, denn von etwas erzählen wovon einem lustig ist darf man im Prozess nicht.
Im Laufe der Verhandlungstage hatte die richtende Person (Jost Holzmann) schon ein Einstellungsangebot gemacht, da sich das Festketten an einem Baum dessen Meinung nach am unteren Strafbarkeitsrahmen befindet und nicht strafwürdig sei. Die Frage ob wir einer Einstellung zustimmen würden erledigte sich recht schnell, da von Staatsanwaltschaftlicher Seite direkt verkündigt wurde, dass einer Einstellung nicht zugestimmt werden würde.
Nach dem 6. Prozesstag (davon drei Schiebetermine) kam es dann zu den Plädoyers und dem Urteil, natürlich plädierten wir auf Freispruch und die Staatsanwaltschaft (Dohmen) auf 40 Tagessätze. Als letztes Wort wurden noch gesammelte Statements vom Publikum verlesen, welches ja in Verfahren nie zu Wort kommen darf und doch in seinem Namen „im Namen des Volkes“ geurteilt wird.
Im Urteil wurde ich dann Freigesprochen mit der Begründung, dass ein unvermeidbares Verbotsirrtum nach §113 Absatz 4 Satz 2 vorgelegen habe. Als das ich irrig angenommen hatte, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig obwohl sie das der Meinung der richtenden Person nach war. Ich konnte diesen Irrtum nicht vermeiden, da sogar der Verwaltungsgerichtshof Kassel in einem Verwaltungsverfahren, welches wir mittels Beweisanträgen eingeführt hatten, geurteilt hatte, dass man sich im Danni trotz der Allgemeinverfügung weiter versammeln darf. Dieses Urteil hatte ich vermutlich gekannt.
Die richtende Person war der Meinung, dass die Diensthandlung der Polizei trotzdem rechtmäßig war, da die Allgemeinverfügung von den Versammelten hätte beachtet werden müssen. Es wurde zugestimmt, dass die Versammlung nicht aufgelöst wurde obwohl die Polizei dazu den Grund gehabt hätte, dass wir die Allgemeinverfügung hätten achten müssen.
Somit sei die Angeklagte Person freizusprechen. Die Kosten des Verfahren trägt bei einem Freispruch die Staatskasse.
Am Ende gab es noch eine Moralpredigt zum Thema Respekt, vor allem ging es um Lachen und Gekicher was hin und wieder aus dem Zuschauerbereich ertönte.
Große Auswirkungen auf Andere Verfahren hat dieses Urteil nur in ähnlich gelagerten Fällen denke ich.
Resist Repression! Freiheit für alle Gefangenen! Gegen Knast und Strafe!
//englsih
The prehistory – Local Court Alsfeld (1st instance)
On 13.01.2022 there was the first hearing day before the district court Alsfeld, two cases of mine §113 resistance (chaining with Lock-On) and §125 breach of the peace during the Danni eviction were merged. Because of the Landfriedensbruch I had previously received a penalty order of 30 daily rates against which I appealed, back then as I was arrested in the forest I had even a detention check whether I should go to pretrialcustody because of this+ refusal of giving ID, however, I was identified in the ED treatment, because of the resistance I had directly received an indictment.
A total of 11 witnesses were originally invited to the main hearing. At my side I had a friend of mine who was accepted as lay defense and some people were in the audience area. It turned out quite quickly in our questioning that the witnesses who were supposed to testify to the breach of the peace in the Barrio Drüben at the beginning of the eviction all had quite little idea. They couldn’t testify to exact acts of violence and my involvement in them, including a story of 20 people simultaneously rappelling out of a tree house with missiles and smoke pots and running at the cops (that wasn’t so, of course:D). So there was an acquittal for the breach of the peace and for the resistance as well, because during the eviction with the lock-on the person had refused personal data and was identified afterwards by „superrecognizers“. However, these have no expert status and it was not enough to determine that the person in the Lock-On was really the accused person. The judging person gladly accepted our argument to acquit and added that they did not see any act of resistance in the lock-on.
Second instance – Regional Court Giessen
Against the acquittal because of the resistance the public prosecutor’s office moved in appeal, since it had another legal conception than the judge regarding thequestion if lockin onto semthing is resistace.
In the intermediate proceedings judge Nink (LG Giessen) then commissioned an anthropological expert opinion for 1500 euros, which should determine whether the person in the lock-on was the accused person. This then came to the conclusion that it is with „probability bordering on certainty“ the accused person.
On 18.11.2021 there was the first hearing date before the Regional Court of Giessen. In addition to my one lay defense, I applied for two more friends as lay defense, which were also accepted. The court room was decorated with a rain soil flag and with your small tree in a flower pot where WaldStattAsphalt stood on it. We spent the first day with a very extensive witness interview. It came out that they had not looked that closely at the lock-on and did not know if or how I was fastened in it. They had no idea of any legal basis of their acts in Danni.
After the witness questioning and some other procedural motions, it was already late afternoon and the trial had to be continued on another day. Since the large hall (because of the visitors a small hall was not sufficient) and the public prosecutor’s office did not have on the same day within three weeks time (if longer than three weeks is interrupted must be negotiated from the beginning) two „shift dates“ were set around then on 02. and 03. January further to negotiate. The „shift dates“ lasted in each case only 15 minutes, since to one of it the accused person did not appear made that again large fuss (Policemen searched for the accused in their registration adress, a arrest order…).
On 02 January it went then further. A total of 34 requests for evidence (What are requests for evidence?: https://www.projektwerkstatt.de/index.php?domain_id=1&p=10083) were made by us (me and my defense lawyers). It was about different topics, once that the general order which was legal basis of the eviction was based on a law for the protection of the forest (HessWaldG §1) and was therefore illegal. Then it was further about the fact that the people gathered in the forest and on the trees and were therefore under the protection of Article 8GG assembly law… therefore the police may not simply evict people before they have been excluded from the assembly or it has been dissolved, that is also called „polizeifestigkeit“ of assemblies. Therefore, we had to introduce through our motions of evidence that the criteria of an assembly were met (expression of opinion, in the open air, several people,…) and that it was not dissolved. It was also about the fact that even if the meeting had turned into a prevention blockade, it should still have been dissolved. Background is that one may resist according to §113 StGB, if the official act (the eviction of the person) is not lawful, however, the legality of an official act in this case refers only to the formal legality (Formalities such as instruction, assembly resolution,..observed, responsible official,… and not on whether the legal basis, in this case the general order, was lawful, so that the courts do not have to deal with the examination of the substantive legal basis). Even if the official act should be regarded as lawful, in our opinion chaining was nevertheless justified because of the justifying state of emergency according to §34 StGB which says that one may behave unlawfully if one wants to protect more important things. The severe environmental consequences of highway construction, e.g. on the groundwater of the region, on air pollution by more traffic generation, soil sealing, etc…. justify protest whether legal or illegal. We know that courts (almost) never acquit, but nevertheless it is important to us to bring the negative consequences of the highway construction in the process.
All in all, almost all requests for evidence were rejected, which is normal and not always disadvantageous, because it makes it difficult for the judge to justify a verdict, because he has to constantly commit himself in the rejection of the requests. It is also important in view of an appeal to bring in all arguments. Furthermore, in the context of the motions for evidence, one can bring in other topics about which one finds it important to talk, because one is not allowed to talk about wahtever and whenever they want in the trial.
In the course of the trial days the judge (Jost Holzmann) had already made a discontinuation offer, because the chaining to a tree is in his opinion at the lower punishability frame and not worthy of punishment. The question whether we would agree to a discontinuation was settled quite quickly, since the prosecution directly announced that a discontinuation would not be agreed to.
After the 6th trial day (of it three „shifting dates“) it came then to the pleadings and the judgement, of course we pleaded for acquittal and the public prosecutor’s office (Dohmen) on 40 daily sentences. As the last word, collected statements from the audience were read out, which is never allowed to speak in proceedings and yet is judged in its name „in the name of the people“.
In the judgement I was then acquitted with the reason that an unavoidable prohibition error in accordance with §113 paragraph 4 sentence 2 had been present. I had erroneously assumed that the official act was not lawful, although it was in the opinion of the judging person. I could not avoid this error, since even the administrative court Kassel in an administrative procedure, which we had introduced by means of proof requests, had judged that one may continue to assemble in the Danni despite the general order. I had presumably known this judgment.
The judge was of the opinion that the official act of the police was nevertheless lawful, because the general order should have been respected by the assembled. It was agreed that the meeting was not dissolved although the police would have had the reason to do so, that we should have respected the general order.
Thus the accused person is to be acquitted. In the case of acquittal, the costs of the proceedings will be borne by the state treasury.
At the end, there was a moral sermon on the subject of respect, especially about laughter and giggles which sounded from time to time from the audience.
I think this verdict will have an impact on other proceedings only in similar cases.
Resist Repression! Freedom for all prisoners! Against jail and punishment!
Thanks for nothing dear public prosecution!