Disclaimer: Dieser Text wurde von Einzelpersonen verfasst und nicht mit der ganzen Besetzung abgesprochen. Es gibt keine autorisierte Gruppe und kein beschlussfähiges Gremium, das ‚offizielle Gruppenmeinungen‘ für die Besetzung beschließen könnte. Die Menschen in der Besetzung und ihrem Umfeld haben vielfältige und teils kontroverse Meinungen. Diese Meinungsvielfalt wird daher hier nicht zensiert, sondern kann gleichberechtigt neben einander stehen. Kein Text spricht für die ganze Besetzung oder wird notwendigerweise von der ganzen Besetzung gut geheißen.
Am 28.11.2020 hatten Menschen in Würzburg in Solidarität mit den Protesten im Dannenröder Wald gegen die dortige Zerstörung des Waldes zum Bau eines weiteren Highways in Richtung Klimakatastrophe mehrere Bäume im Ringpark besetzt und durch Verlesen von Statements und Musik die vorbeischlendernden Passant*innen auf die Situation aufmerksam gemacht. In der Woche zuvor wurden im Danni mehrere Baumhausdörfer durch randalierende Polizeigangs zerstört und Menschen zum Teil schwer verletzt. Die Soliaktion in Würzburg erreichte den Tag über viele Leute und auf Bestreben der Polizei stellte sich ein Teilnehmer als Gesprächspartner zur Verfügung.
Dieser wurde im Handumdrehen als Versammlungsleiter bezeichnet und Personalien aufgenommen.
Aufgrund der vielen mitgebrachten Materialien wurde nicht vor Ort, sondern erst im Nachhinein durch einen Bußgeldbescheid die Spontanität der Versammlung in Frage gestellt. Plötzlich seien mitgebrachte Banner, ein Lautsprecher, Musikinstrumente und eine Drohne sowie eine versandte Pressemitteilung deutliche Indizien einer langen Vorbereitung der Aktion. Dass Aktivist*innen innerhalb von 12 Stunden zu so einer Mobilisierung in der Lage seien, könne die Stadt nicht annehmen und werte die Versammlung nicht als Spontanversammlung sondern Eilversammlung inklusive Verstoß wegen Nicht-Anzeigen der Versammlung bei Ordnungsamt oder Polizei. Deshalb sollte der Versammlungsleiter ein Bußgeld in Höhe von 250€ sowie 25€ Verwaltungsaufwand bezahlen. Dieser ließ sich so eine Repression nicht gefallen und erhielt deutliche Unterstützung von der Roten Hilfe Würzburg und des Danni Ermittlungsausschusses. Auch die Linke Würzburg verurteilte die Repression und erklärte sich prompt bereit, die möglicherweise auftretenden Kosten
zu begleichen. Zusammen mit einer Anwältin legte der Betroffene Widerspruch bei der Stadt ein, beantragte Akteneinsicht und forderte eine Klärung der Rechtmäßigkeit vor dem Amtsgericht.
Mittlerweile waren übrigens über 1,5 Jahre seit der Sponti vergangen, die Wut auf die Behörden aufgrund dieser unverhältnismäßigen Verfolgung eines Demonstrierenden blieb jedoch bei allen Beteiligten vorhanden, es bildete sich eine Soli-Gruppe, die den Prozess aktiv mitverfolgte und auch am Tag der Verhandlung zur Unterstützung vor dem Gericht erschien.
Die Verhandlung verlief wie zu erwarten: Der Richter stellte direkt zu Beginn klar, dass für ihn vor allem die zwei Optionen Einstellung oder Freispruch zur Debatte stünden. Sowohl die Anwältin als auch der Angeklagte legten noch einmal deutlich die Ungeplantheit der Aktion und Spontanität der Organisation von allen Materialien dar, während der als Zeuge berufene Polizist sich vor allem durch Unvorbereitetheit und Gedächtnislücken auszeichnete. Nach dieser Vernehmung bot der Richter wiederholt die Einstellung des Verfahrens an, welche der Angeklagte trotz Wunsch einer Klärung der Rechtslage mit einem Freispruch nach kurzer Beratung mit seiner Anwältin annahm.
Letztlich blieb die Frage also ungeklärt, ob der Entschluss zu einer Versammlung am Vorabend bei ungeklärter Ausführung am folgenden Morgen schon einzig als Eilversammlung gelten muss oder weiterhin als Spontandemonstration gewertet werden kann. Hätte keine*r der Versammlungsteilnehmer*innen jedoch mit der Polizei gesprochen, wäre wohl diese Anklage nie zustande gekommen (wobei andere Formen der direkteren und späteren Repression wahrscheinlich gewesen wären). Ein Anruf bei der Polizei am Freitag Abend oder Samstag Morgen hätten laut Gericht als besserer Weg zur offiziellen Bekanntgabe der Versammlung Repression vor Gericht aufgrund des Versammlungsrechts verhindert. Letztlich wurde das Verfahren vom Richter eingestellt und jegliche Kosten vom Staat übernommen. Dies ist das bestmögliche Ergebnis neben einem Freispruch und wird als voller Erfolg für den vom Staat Verfolgten betrachtet. Wenn ihr Post von den Behörden bekommt: Lasst euch beraten, wägt eure Handlungsmöglichkeiten gut ab, überlegt wie ihr eventuelle Kosten solidarisch begleichen könnt und legt im Zweifel ruhig Einspruch ein!