Disclaimer: Dieser Text wurde im Autonomen Blättchen Nr.46 gesichtet und von https://autonomesblaettchen.noblogs.org kopiert und die Veröffentlichung nicht mit der ganzen Besetzung abgesprochen. Es gibt keine autorisierte Gruppe und kein beschlussfähiges Gremium, das ‚offizielle Gruppenmeinungen‘ für die Besetzung beschließen könnte. Die Menschen in der Besetzung und ihrem Umfeld haben vielfältige und teils kontroverse Meinungen. Diese Meinungsvielfalt wird daher hier nicht zensiert, sondern kann gleichberechtigt neben einander stehen. Kein Text spricht für die ganze Besetzung oder wird notwendigerweise von der ganzen Besetzung gut geheißen.
Gedanken zu der besonders im Kontext von Waldbesetzungen und Angriffen auf Schlachthöfen beliebten Aktionsform der menschlichen Blockade
Eine Reaktion auf den Artikel „Westfleischblockade in Oer-Erken-schwick“: Im letzten „Autonomen Blättchen“ (#45) gibt es einen Bericht über eine Blockade eines Schlachthofs mittels „3 Betonfäs-sern, an denen jeweils zwei Personen fest gekettet waren, und einem Tripod, in dem ein Mensch mit Hängematte hing und eine weitere Person mit einem Bügelschloss festgekettet war“. Die Bilanz der Ak-tion (mal abgesehen davon, dass die Blockade daran scheiterte, dass es einen weiteren Eingang gab, den die LKWs benutzen konnten): „die Angeketteten [wurden] unter Schmerzen schreiend mit den Fässern weggetragen“, „der Arm einer Aktivistin […] stark überdehnt“, „Aceton auf die […] Hände gekippt“, mehrere Stunden Aufenthalt in Metallkäfigen in der GeSa, „soziale Konflikte, Ausbrennen und Traumata“.
Die Lehre aus dieser Erfahrung: „Macht eure Fässer UNTRAGBAR!“
Auch bei Berichten aus diversen Waldbesetzungen wie etwa dem Hambacher oder dem Dannenröder Forst liest man von diesen Blocka-deaktionen mit dem eigenen Körper, Menschen auf Bäumen, die sich weigern, hinunterzuklettern, Menschen, die sich in Tunnel eingraben und sich auf tausende Arten irgendwo anketten, festmachen, sich festkleben, und das so kompliziert und lebensgefährlich für sie selbst wie möglich. Wenn dann diese Blockaden erwartbarerweise von den Cops geräumt werden, werden Menschen (schwer) verletzt oder manchmal sogar getötet (wie erst letztens im Hambacher Forst), und sehr viele bleiben schwerst traumatisiert und ausgebrannt von diesen Räumungen zurück. Was ich mich dabei ernsthaft frage: Warum?
Warum entscheidet man sich so eine Blockade zu machen? Warum liefert man sich freiwillig so komplett der Willkür und der Gewalt der Bullen und des Staates aus und, viel schlimmer als das, wie kann man das nur als eine geeignete Kampfmethode propagieren? Klar gibt es unterschiedlichste Arten und Weisen sich gegen Staat und Kapitalis-mus zur Wehr zu setzen, und alle können mir ja auch nicht taugen, doch erscheint es mir dringend notwendig diese selbstverständlich scheinende Praxis insbesondere im Kontext von (Wald-)Besetzungen, Tierbefreiungskämpfen und im sogenannten „Kletteraktivismus“ massiv anzugreifen und ihre Sinnhaftigkeit infrage zu stellen.
Ich richte mich dabei explizit an Anarchist*innen, die alle Verhält-nisse umstürzen wollen, so wie sich offenbar laut eigener Aussage auch die Menschen verstehen, die die oben beschriebene Blockade gemacht haben. Warum sich selbst vor einen Schlachthof ketten anstatt beispielsweise eine brennende Materialblockade zu errichten, die denselben Zweck erfüllt und bestenfalls auch noch die Straße zer-stört, man sich dabei aber nicht selbst den Bullen ausliefert? Warum sich handlungs- und kampfunfähig machen und darauf warten, dass einen irgendwer da wieder rausholt und einen dabei (bestenfalls, wenn man mal ganz ehrlich ist) auch noch verletzt? Natürlich ist es in Oer-Erkenschwick (wenn auch laut eigener Aussage eigentlich erwartbar) nicht gelungen überhaupt einen Ablauf für einige Zeit zu blockieren, was bei einigen dieser Blockaden ja durchaus gelingt. Voraussetzung dafür ist aber natürlich, dass die Cops die Protestieren-den nicht einfach abknallen, sondern die Blockade Leben schonend räumen, was eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Das ist aber auch das größte Problem daran, weshalb sie meiner Ansicht nach vollkom-men untauglich für anarchistische Angriffe auf Herrschaftsstrukturen ist und außerdem gefährlich so etwas zu propagieren:
Man vertraut nämlich darauf, dass sich der Staat an seine eigene Regeln, an seine „Rechtsstaatlichkeit“ hält, dass die Bullen also diejenigen, die sich so vor einen Schlachthof ketten, nicht einfach abmurksen, oder Menschen, die sich in Gruben eingegraben haben, nicht überfahren, oder einfach alle Halteseile einer Waldbesetzung kappen. Keine Aufständischen machen es dem Staat so einfach, sie alle zu massakrieren, wenn er es für opportun hält, als die, die mit ihrem angeketteten, festgeklebten, eingebuddelten, aufgehängten Körper gegen ihn protestieren. Das würde doch nicht passieren, weil es dann einen Aufschrei in der Bevölkerung gäbe, mag mir da einer entgegnen. Das ist nämlich das andere, auf das man bei dieser Methode setzt:
Mediale Aufmerksamkeit und Sympathie der Bevölkerung aufgrund der Aufopferungsbereitschaft der Leute und der für die Zuschauer als ungerecht empfundenen Gewalt, die die Menschen erfahren. „Die Gewaltfalle“, nennt das die Polizeiforschung. Handle auf eine Art, die die Cops „zwingt“ mit Gewalt einzugreifen und sei dann mit jenen konfrontiert, die sich aufgrund der sich vor ihren Augen ablaufen-den Gewalt mit denen, die diese Gewalt erfahren, solidarisieren. So eigentlich besonders bei Demos, aber über mediale Berichterstattung lässt sich das – so die Hoffnung – über das direkte Erleben hinaus nutzen. Doch dafür ist man davon abhängig, dass überhaupt jemand davon berichtet, und nicht nur das lokale Anarchoblättchen oder zeit-gemäßer irgendein Blog im Internet, den eine Handvoll Leute lesen, davon berichtet, sondern dass es die Aufmerksamkeit der (lokalen oder bundesweiten) Mainstream-Medien auf sich zieht und diese das Geschehen skandalisieren. „Wir konnten… Aufsehen erregen. Medial haben wir viele diverse Zeitungen, Radios und Fernsehsender erreicht, die mit uns gesprochen und über uns berichtet haben“, be-richten auch die Blockierer*innen von Oer-Erkenschwick. Dabei ver-wechselt man häug die Schreiberlinge der großen Medienkonzernen oder sogar dem Staat gehörenden Zeitungen und Fernsehsender, die sich als „vierte Gewalt im Staat“ und als eine der wichtigsten „Stützen der Demokratie“ betrachten, und die von ihnen hergestellte „Öffent-lichkeit“ mit den Menschen, die man wahrscheinlich hofft mit dieser Aktion anzusprechen.
Eine interessierte „Öffentlichkeit“ wird es nur geben, wenn die entsprechenden „Stützen“ und (geistigen wie sonstigen) Eliten der Demokratie ein Interesse daran haben eine „Öffentlichkeit“ her-zustellen. Aber zurück dazu sich einfach den Bullen auszuliefern: Solange es dem Staat mehr entgegenkommt, die Protestierenden am Leben zu lassen und sie mehr oder weniger sanft aus ihren Blocka-den zu befreien, er etwa damit seine demokratische Toleranz zur Schau stellen und somit befriedend einwirken, die „Gewaltfalle“ also weitestgehend umgehen kann, dann wird er das tun. Nicht wenige solche Blockadeaktionen scheiterten auch genau daran, dass sich keiner dafür interessierte, die so Verschanzten herauszuholen und man lieber darauf wartete, dass sie selbst aufgaben, weil ihnen kalt war, sie aufs Klo mussten oder auch einfach so nicht damit gerechnet hatten, dass man sie einfach sitzen lässt und die Zeit dann auf einmal sehr lang wird. Beste Taktik, ganz ohne Blutvergießen.
Sobald aber dem Staat die Kontrolle wirklich zu entgleiten drohen sollte, dann gibt es ja wohl nichts Hirnrissigeres als sich einem tech-nologisch hoch aufgerüsteten, bis an die Zähne bewaffneten Staats-apparat dadurch entgegenzustellen, dass man sich vor ihm festkettet. Aber das sei ja gerade nicht der Fall, und es sei halt eine niedrig-schwellige Aktionsform, die weniger Repressionsgefahr beinhalte und damit „Neuen“ einen recht einfachen Zugang zu Protestformen ermögliche. Traumata, Verletzungen, Schmerzen, eventuell sogar den Tod zu riskieren, ist niedrigschwellig und keine Repression? Wie verantwortungslos ist es motivierten Leuten solche Aktionsformen vorzuschlagen? Was bitte soll das sein als Leute und sich selbst zu Kanonenfutter zu machen, um politisch Kapital daraus zu schlagen, damit man dann hinterher die Bullengewalt skandalisieren kann?
Ganz nebenbei ist das auch voll und ganz der Idee des christlichen Märtyrers verhaftet, der sich einfach wehrlos für Gott hinschlachten lässt und aufgrund dieser Selbstlosigkeit hofft Anhänger*innen zu nden. Warum sich selbst die Zähne ausreißen, nur um harmlos genug zu wirken, damit die Anhänger*innen des Staates keine Angst vor dir bekommen? Es gibt so viele Möglichkeiten, einen Schlachthof anzugreifen, den Bau einer Autobahn zu sabotieren, einer Kohlegrube den Garaus zu machen – auch mit unterschiedlichem Risiko –, die nicht beinhalten sich seine Handlungsfähigkeit zu nehmen. Damit will ich natürlich nicht sagen, dass andere Formen des Widerstands nicht teilweise genauso gefährlich oder auch tendenziell riskanter oder gefährlicher sind, insbesondere wenn es um Freiheitsstrafen geht. Doch sind es keine Handlungen, in denen ich mich freiwillig der Willkür des Staates ausliefere, in der Hoffnung da schon ohne große Schäden rauszukommen. Es sind Wege des aktiven Angriffs statt des passiven Ausharrens, die weder auf die Gutmütigkeit des Staates noch auf die Sympathie der Presse und der „Öffentlichkeit“ setzen, sondern diese als Feinde erkennen, in deren Klauen man sich nicht freiwillig begibt und denen man sicherlich nicht vertraut. Auf dass jede*r auf ihre Weise und mit den Mitteln ihrer Wahl diesen Koloss angreift, ohne sich ihm aber dafür auszuliefern!