Gedanken zu Gewalt

Disclaimer: Dieser Text wurde von Einzelpersonen verfasst und nicht mit der ganzen Besetzung abgesprochen. Es gibt keine autorisierte Gruppe und kein beschlussfähiges Gremium, das ‚offizielle Gruppenmeinungen‘ für die Besetzung beschließen könnte. Die Menschen in der Besetzung und ihrem Umfeld haben vielfältige und teils kontroverse Meinungen. Diese Meinungsvielfalt wird daher hier nicht zensiert, sondern kann gleichberechtigt neben einander stehen. Kein Text spricht für die ganze Besetzung oder wird notwendigerweise von der ganzen Besetzung gut geheißen.
„Nach Drüben, Polizei ist da“. Es ist früh am Morgen und eigentlich hatten mein Bezugsmensch und
ich vor, heute früh abzureisen. Wir waren schon ein wenig durch die letzten Tage entkräftet. Doch
wir entschließen uns unsere alten Pläne sein zu lassen und nach drüben zu laufen. Dort stehen wir in
der Blockade, lange passiert nichts. Von den anderen höre ich „Mörder, Mörder“ rufen. Als ich die
Person auf dem Boden liege, begreife ich erst warum. Uns war schnell klar: Ein Polizist muss das
Seil zerschnitten haben. Das gibt die Polizei erst Tage später zu.
Während ich da stehe, die Notärzt*innen sind bereits vor Ort, denke ich darüber nach, wann
Gewalt als Gewalt sichtbar wird. Denn ich merke, nur direkte Gewalt kann ich als solche erkennen.
Das Zerschneiden eines Seils wirkt harmlos, fast unschuldig und kann mit meinem Kopf nicht mir
lebensbedrohlichen Verletzungen verknüpft werden. Daher muss ich mir vorstellen, wie der Polizist
immer und immer wieder auf die Aktivistin eintritt, zwei Wirbelsäulenverletzungen hervorruft.
Denn genau das ist passiert. Wir können von großem Glück sprechen, dass die Aktivist*in die
Gewalttat überlebt hat.
Es heißt, die Bewegung sei teilweise gewaltvoll. Es werde schließlich (von einigen wenigen
Menschen) mit ungerichtet mit Steinen geworfen oder Böller verwendet. Die Gewalt der Polizei gilt
als legitimiert, sie wird akzeptiert. Der Aufschrei wäre groß, wenn Aktivistis Seile durchschneiden,
Elektroschocks in mehreren Metern Höhe anwenden, Bäume in unmittelbarer Nähe von Menschen
fällen oder die Polizist*innen an den Armen voran über dem Boden schleifen. Das ist das tägliche
Verhalten der Polizei. Die Rollen umzukehren hilft, den eigenen Bias zu erkennen.
Während weiterhin die meisten Aktivistis „Mörder“ rufen, bekomme ich Wut. Doch nicht in
erster Linie auf die Polizei, sondern auf die Befehlshaber – in diesem Fall u.a. die Partei „Bündnis
90/Die Grünen“. Auch wenn die Polizei die Gewalttaten vollzieht. Es erinnert mich an
Kriegsdokumentationen. Sicherlich die Gewalttaten vor Ort sind grauenhaft. Doch am meisten
schaudert es mir, wenn ich die auslösenden Menschen sehe. Wie sie gerade in einem prunkvollen
Saal sitzen, einen schicken Anzug tragen, eine Zigarette rauchen, lachend mir nichts, dir nichts den
Tod von tausenden von Menschen beschließen. Für diese Menschen ist es einfach, sich anders zu
entscheiden. Sich diplomatisch zu verhalten oder von ihrem Posten abzutreten. Doch das tun sie
nicht und führen ihr prunkvolles Leben weiter. Damit möchte ich die Räumung des Dannenröder
Waldes nicht mit Krieg gleichsetzen, aber auf einen anderen Mechanismus der Gewalt aufmerksam
machen: Während Aktivistis und Polizist*innen sich gegenüber stehen und sich anfeinden, sitzen
die Entscheidungsträger*innen in ihren gemütlichen Büros, tragen ihre Anzüge mit schicken
Sneaker und trinken ihren Fairtrade Kaffee. Auch wenn diese Haltung harmlos erscheint, ist sie
doch die Ursache der Gewaltspirale.
Die Polizei wird legitimiert Gewalttaten zu vollbringen, um ein höheres Gut zu schützen,
wie Menschenleben oder körperliche Unversehrtheit. Das ist, denke ich, der Grund, weshalb die
Zivilgesellschaft ihre Gewalt akzeptiert. Doch welches Gut beschützt hier die Polizei? Welchen
sollte sie im Hambacher Forst beschützen? Die Abholzung eines Waldes inmitten der Klimakrise,
sodass sie Klimakrise schneller voranschreiten kann, damit noch mehr Menschen an ihren Folgen
versterben. Auf die Profitinteressen der Firmen muss geachtet werden, sie sorgen für Arbeitsplätze.
So heißt es oft. Aber einen Arbeitsplatz ohne die Luft zum Atmen zu haben, hilft herzlichst wenig.
Die Gewalttaten der Polizei werden dadurch legitimiert, eine schlimmere Gewalttat – das
Fortschreiten der Klimakrise – zu gewährleisten.
Jetzt werden viele einwenden: Es handelt sich um überschaubare Wälder, Aufforstungen an
anderen Stellen wurden bereits versprochen. Doch eins sollte uns klar sein: Wir haben keine Zeit
mehr! Es muss das höchste Ziel sein, ein Leben für die Menschen und zukünftige Generationen zu
gewährleisten. Nichts ist so gefährlich, wie die Lebensgrundlage der Menschheit zu zerstören. Auch
wenn es sich um „kleine“ Bereiche handelt, wird eine Politik weitergeführt, die uns alle gefährdet.
Deshalb müssen wir dem entgegnen. Natürlich werden wir nicht nur in den Wäldern sein. Wir
schrecken nicht vor der Automobilindustrie zurück, nicht von den Fluggesellschaften, nicht vor derModewelt, nicht von der Massentierhaltung etc. Denn diese Profitgier wird uns umbringen. Wenn
sie uns nicht schon jetzt den Genuss des Lebens raubt.
Einige Menschen wie z.B. Vertreter*innen der Presse oder Politiker*innen stören sich an der
vereinzelten Gewalt weniger Aktivistis. Diese Meinung ist eine durchaus legitime Ansicht – Doch
sollten sie sich auch an allen anderen hier aufgeführten Gewalttaten stören, alles andere ist
Heuchelei.
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3 Responses to Gedanken zu Gewalt

  1. Reni says:

    Danke Rosa für den treffenden Kommentar. Ich verstehe die Wut und die Verzweiflung der mit dem Bus über die Autobahn angereisten Aktivisten nur zu gut.
    Es die Wut junger, emotionaler Menschen. Jahre später merkt man selbst und alle ehemals blackblock-freunde auch, dass die Welt durch das ehemals so gehasste doch nicht untergeht. Der Klimawandel rottet die Menschheit keinesfalls aus. Er verändert viel, vergrößert menschengemachte Probleme. Das ist schrecklich. Aber weder das Ende, noch ein Grund an Verzweiflung die lebenslust zu verlieren. Es geht weiter, seid frohen Mutes!

  2. Krischan says:

    @Rosa
    Demokratie finde ich eigentlich auch wichtig und bin auch für direkte Demokratie und Bürgerräte. Dazu müssen aber auch einige Rahmenbedingungen passen und letztendlich müssen Entscheidungen später auch wieder rückgängig gemacht werden können, wenn neue Erkenntnisse vorliegen. Bezüglich Stuttgart 21 sagt Winfried Herrmann, Landesverkehrsminister: „In der Demokratie geht es leider nicht um die Wahrheit sondern um die Mehrheit“. Auch das sollte zu denken geben.

    Wenn eine Minderheit (zehntausende) ein Kohlekraftwerk betreiben will, oder ein AKW oder eine Autobahn bauen will, dies aber den meisten anderen Lebewesen auf den ganzen Planet belastet, ist es dann richtig dies zu tun? Nur weil Tausendfach in der Vergangenheit die gleichen Fehler von anderen begangen wurden?

    Wenn die Polizei Aktivisti in Lockons alleine lassen würde, ist wohl das Ziel der Aktion erreicht. Im Notfall gilt die Pflicht zu helfen. Dass Aktivisti solche verrückten Aktionen für notwendig halten und durchführen, empfinde ich schon als Alarmsignal, dass die Politik hier schleunigst handeln muss.
    Für Wackersdorf wurde ja auch mal eben das Gesetz geändert, um trotz fehlender Unterschrift des Landrats ein gefährliches Großprojekt durchzusetzen, wieso geht das nicht auch umgekehrt?

  3. Rosa Rot says:

    Auch wenn es hier niemand hören will. Diese Polizisten schützen unsere Demokratie und demokratische Entscheidungsprozesse.

    Und sie schützen die Bewohner der zwei betroffenen Landkreise. Diesen wird seit vier Jahrzehnten die Autobahn versprochen, deren Bau lange genug behindert wurde durch die alle rechtsstaatlich erlaubten Einspruchsmöglichkeiten. Und die auch heute noch mit überwiegender Mehrheit, was die nächsten Kommunalwahlen in nicht einmal einem halben Jahr wahrscheinlich bestätigen, genau diese Erfüllung eines politischen Versprechens fordern.

    Was wäre denn eine Demokratie wert. in denen zugereiste „Aktivisten“ von der Anzahl her im unteren dreistelligen Bereich über die langfristige Lebensqualität von zehntausenden bestimmen dürften? Und was wäre ein Rechtsstaat wert, der nicht alle weitestgehend gleich behandelt. Solange hier „Aktivisten“ glauben, Gesetze und Verordnungen gelten nur für andere (wozu auch die Verweigerung der Personalien gehört – wenn ich von einer Sache überzeugt bin stehe ich dafür mit meinem Gesicht und meinem Namen ein) haben sie irgendwie das Recht verwirkt an andere Stelle eben diesen Rechtsstaat zu fordern. Mal ganz nebenbei, was würden den die Personen in aufwendigen lock-ons machen, wenn die Polizei sie einfach umgehen würde und sie ein paar darin liegen müssten?

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