Von Baumhäusern bis Ackercamp – Hessen kann Klimaaktivismus
Während sich langsam aber sicher die gesamte Klimabewegung zum Widerstand im Dannenröder Forst formiert, der einem veralteten Verkehrskonzept zum Opfer fallen soll, wird auch an anderen Orten des Bundeslandes Widerstand geleistet. Im hessischen Neu-Eichenberg bei Göttingen besetzen seit mehr als einem Jahr mutige Herzen eine Ackerfläche von ca. 80 Hektar und stellen sich somit den Plänen eines Logistikgebietes und der Zerstörung von fruchtbarem Boden in der Klimakrise mit ihrer Anwesenheit entgegen.
Es ist noch früh am Morgen, der Himmel wolkenverhangen, unsere Schuhe streifen das nasse Gras. Zwischen allerlei Gemüse sind vereinzelt selbst gezimmerte Hütten und Bauwägen zu erkennen. Hoch über uns kreisen einige große Vögel, auf der Suche nach Mäusen. Wir stapfen vorbei an Tomaten, Bohnen und Sonnenblumen und werden kurz darauf auch schon von einigen Aktivist*innen mit einem Lächeln und einer Tasse Tee begrüßt.
Im Folgenden wurden die Namen aller Personen zu ihren Schutz geändert:
Warum seid ihr immer noch hier?
Flo: „Wir sollten Lebensmittel regional anbauen und nicht von sonst wo aus durch die Welt schiffen lassen.“
Lue: „Eine Versiegelung des Bodens für ein Logistikgebiet ist irreversibel, ist halt eine Sache, die wird irgendwie entschieden, kann aber nicht wieder rückgängig gemacht werden, also da müssen mehrere hundert Jahre vergehen, bis das hier irgendwie wieder Ackerboden sein könnte.“
Tim: „Uns ist es wichtig, den Widerstand weiter zu führen, gerade weil wir hier schon so viel geschafft haben. Jetzt gilt es dran zu bleiben.“
Flo: „Es scheint als ließe sich hier echt etwas bewirken.“
Und was wäre das für euch?
Sam: „Im Grunde kann mensch sagen, dass die Ernährung, wie wir sie in Deutschland haben, (…) auf einem unfairen Handel mit Wasser und Ressourcen basiert und dafür ist es wichtig dass wir hier Ackerflächen erhalten, vor allem wenn es noch so gute Ackerflächen sind“
Fynn: „Wir wollen verhindern, dass die Fläche an Investor*innen verkauft wird, die hier ein Logistikgebiet hochziehen wollen.“
Tim: „Fruchtbarer Ackerboden darf nicht für Kapitalinteressen aufs Spiel gesetzt werden. Wir sind hier, um solch wichtige Flächen zu erhalten, um Lebensmittel anbauen zu können, und das möglichst in bester Qualität.“
Was wurde von diesen Zielen bisher erreicht?
Lue: „Nach so langer Zeit steht hier immer noch kein hässliches Logistikgebiet. Die Fläche ist nach wie vor nicht verkauft.“
Tim: „Das ist super, somit kann sie auch jetzt gerade noch für Landwirtschaft genutzt werden.“
Fynn: „Die Besetzung hat dem Thema überregionale Aufmerksamkeit verschafft. Mehr Menschen fangen an, sich damit und mit Klimaschutz im Allgemeinen zu befassen. Der Widerstand in der Region gegen die Logistikpläne ist sichtbar größer geworden.“
Bekommt ihr Unterstützung aus der lokalen Bevölkerung?
Tim: „Auf jeden Fall. Es kommen immer wieder Menschen aus dem nächsten Dorf auf die Besetzung, spenden Lebensmittel, die wir auf dem Acker nicht anbauen können, oder notwendiges Baumaterial.“
Flo: „Oder sie unterhalten sich einfach stundenlang mit uns über alle möglichen Themen. Das ist jedes Mal auf‘s neue sehr bereichernd.“
Welchen positiven Einfluss hat die Besetzung auf das Leben von Menschen in den Dörfern?
Sam: „Ich glaube, dass das Bewusstsein für Lebensmittelproduktion steigt.“
Lue: „Menschen erkennen, ok das kommt irgendwoher, das muss irgendwo angebaut werden, und das ist cool, wenn das möglichst sozial und umweltverträglich angebaut wird, und wenn wir dazu auch irgendwie eine Verbindung haben, zu dem, wo eigentlich unsere Lebensmittel herkommen. Auf der Ebene glaub ich, dass da auch viel passiert, wenn sie hierhin kommen und sich das angucken“
Tim: „Familien bauen auf Teilen des Ackers ihr Gemüse selbst an.“
Flo: „Was dann wiederum auch ein Stück weit Ernährungssouveränität darstellt.“
Tim: „Dann kommen sie manchmal mit den Kindern vorbei und die haben super viel Spaß dabei das Gartenwerkzeug zu benutzen“.
Lue: „Und sie werkeln in der Werksstatt herum, die sind auch einfach super cool drauf, naja ok, dass wären sie wahrscheinlich auch ohne uns.“ (lacht)
Was hat sich auf der Besetzung geändert, im Vergleich zum letzten Jahr?
Fynn: „Wir haben immer mehr Strukturen erbaut, die das Leben auf dem Acker angenehmer machen. Wenn du nachts nicht frieren musst, ist das schon etwas Angenehmes. Ach und das neu gebaute Scheißhaus ist eine super Sache.“
Lue: „Dadurch, dass nun noch mehr Arbeit als zuvor in den Garten gesteckt wurde, sind wir weniger auf Lebensmittelspenden von außen angewiesen. Jetzt können wir uns noch viel besser als zuvor selbst versorgen.“
Tim: „Was gleich geblieben ist, Menschen kommen vorbei, suchen das Gespräch, sind am Thema interessiert.“
Welche Einschränkungen bringt dabei die Coronapandemie für euch?
Flo: „Im letzten Jahr haben wir in den umliegenden Dörfern jeden Sonntag zu einem gemeinsamen Frühstück auf der Ackerbesetzung eingeladen. Das war dann jedes Mal ein schöner Moment, wo Alle zusammenkamen, und es sich bei Leckereien sowohl vom Acker selbst, als auch aus Nachbars Küche gut gehen ließen. Das ist jetzt natürlich nicht mehr möglich. Es wäre schlichtweg unverantwortlich.“
Lis: „Oh ja, das war was Schönes letztes Jahr.“
Fynn: „Einige Personen aus dem bürgerlichen Spektrum, die oft dabei waren, kommen nach wie vor vorbei, und erkundigen sich, wie es uns geht.“
Wie ist euer Umgang untereinander? Woran können sich Menschen vielleicht auch ein Beispiel nehmen?
Sam: „Es ist so ein bedingungsloses Sein. Es wird nicht von dir erwartet, dass du irgendetwas leisten musst, um hier sein zu dürfen. Es gibt immer irgendetwas zu tun, die Entscheidung dafür oder dagegen ist aber wesentlich freier.“
Tim: „Kein Leistungsdruck. Wenn ich hierher komme und eigentlich ziemlich fertig bin, dann kann ich auch zur Ruhe kommen. Und dafür werde ich nicht verurteilt und Menschen schauen mir nicht auf die Finger.“
Was wünscht ihr euch für eine Gesellschaft?
Lue: „Selbstreflexion, sensibler Umgang miteinander, Abbau von Unterdrückungsmechanismen, auf denen unsere derzeitige Gesellschaft leider beruht.“
Findet das hier auch statt?
Lue: „JA!“
(Alle lachen.)
Fynn: „So viel zu Reflexion.“ (grinst)
Lue: „Ich hab aber schon den Eindruck, dass Menschen hier bereit sind, an sich selbst zu arbeiten, ihr eigenes Verhalten hinterfragen und dass das Miteinander wertgeschätzt wird. Du triffst dich abends immer wieder zum gemeinsam kochen, weil‘s auch einfach schön ist, und Menschen können sich gegenseitig auffangen. Wenn irgendetwas vorgefallen ist, dass du direkt mit Menschen darüber sprechen kannst. Es ist Vertrauen da, auch wenn mensch sich noch nicht so besonders gut kennt. Das hat mich schon beeindruckt an diesem Ort. Ich hab mich auch von Anfang an wohl und willkommen gefühlt.“
Was sollte sich eurer Meinung nach verändern?
Tim: „Also ich wünsche mir insgesamt einen Wandel, weg von einer patriarchalen, auf Wachstum und Ausbeutung basierenden Wirtschaftsweise, hin zu einem genügsamen, guten Leben für Alle.“
Flo: „Ich fände es eine sehr schöne Vorstellung, wenn einfach jedes Haus oder jede Straße in einer Stadt ein Ackercamp irgendwie bildet, also eine ähnliche Gemeinschaft, wo Menschen zusammen leben und sich gegenseitig tragen und nicht gegeneinander leben sondern miteinander.“
Sam: „Lebensmittel und Flächenversiegelung und Logistikgebiet, also im Grunde diese ganze Situation, ist ein super Beispiel, was die Wirtschaftsweise, die wir im Moment fahren, eigentlich bedeutet und was Alternativen sind, die auf Solidarität und auf einer anderen Logik, auf einer anderen Bezugnahme zur Erde und zur Natur basieren und was diese auch schaffen können.“
Tim: „Jedes Lebensmittel, das wir hier anbauen, ist ein Beitrag zum Klima- und Umweltschutz.“
Wie steht ihr zum Widerstand im Dannenröder Forst?
Sam: „Wir wollen uns mit den Menschen, die im Danni für eine Verkehrswende und für den Erhalt von Wald und Trinkwasser einstehen, solidarisch zeigen. Denn so wie der Ackerboden hier bei uns, stellt auch der Wald eine wichtige Lebensgrundlage dar, die es zu schützen gilt.“
Fynn: „Gerade ist der Danni akut bedroht. Darum appelieren wir an Alle: Geht in den Wald. Es gibt viele Möglichkeiten, wie ihr die Menschen vor Ort unterstützen könnt.“
Sam: „Acker und Wald statt Beton und Asphalt!“
Anfang des Jahres knickte der potenzielle Logistik- Investor, die Dietz AG, unter dem breiten Protest ein und sprang ab. Zudem wurde ein mehrmonatiger Planungsstop erwirkt. Das sich nun tatsächlich über möglicherweise ökologische und sozial verträgliche Alternativen ausgetauscht wird, ist dem unermüdlichen Einsatz von Initiativen vor Ort und den wundervollen Aktivist*innen der Ackerbesetzung zu verdanken, die Tag und Nacht bei Wind und Wetter nicht aufgaben und seit nun beinahe 500 Tagen einen Ort gelebter Utopien aufrecht erhalten.
Nun liegen verschiedene Optionen der Flächennutzung auf dem Tisch. Der Verein „Land schafft Zukunft V.“ erklärt sein Konzept unter anderem folgendermaßen: „Wir wollen einen vielfältigen Forschungs-, Praxis-, und Demonstrationsstandort in Neu-Eichenberg verwirklichen. An diesem Standort sollen zukunftsweisende Anbaumethoden aus dem Bereich der regenerativen Landwirtschaft nach dem Motto „Land schafft Zukunft“ umgesetzt werden. Auch sollen Forschung und die Wissensvermittlung eine zentrale Rolle spielen. So soll ein vielfältig landwirtschaftlich genutzter Standort entstehen, der den lokalen und globalen Herausforderungen begegnen kann. Hierfür entwickeln wir unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten, Herausforderungen und Voraussetzungen einen Nutzungsvorschlag für die ca. 80 ha große Ackerfläche und die angrenzende Domäne. Unser Nutzungsvorschlag berücksichtigt soziale, ökologische sowie ökonomische Aspekte und stellt somit eine zukunftsfähige und attraktive Alternative zum geplanten Sondergebiet Logistikgebiet dar.“
Wie die Entscheidung für den Acker bei Neu-Eichenberg ausfallen wird, bleibt abzuwarten. Fest steht aber, die Aktivist*innen werden dabei ganz bestimmt ein Wörtchen mitreden. Weitere Informationen lassen sich auf dem Twitteraccount „@unserAcker“ und unter „http://www.ackerbleibt.org“ finden.
Dieser Text entstand in Solidarität und großer Bewunderung für die Aktivist*innen der Ackerbesetzung.