Disclaimer: Dieser Text wurde von Einzelpersonen verfasst und nicht mit der ganzen Besetzung abgesprochen. Es gibt keine autorisierte Gruppe und kein beschlussfähiges Gremium, das ‚offizielle Gruppenmeinungen‘ für die Besetzung beschließen könnte. Die Menschen in der Besetzung und ihrem Umfeld haben vielfältige und teils kontroverse Meinungen. Diese Meinungsvielfalt wird daher hier nicht zensiert, sondern kann gleichberechtigt neben einander stehen. Kein Text spricht für die ganze Besetzung oder wird notwendigerweise von der ganzen Besetzung gut geheißen
Dieser Text ist als Ergänzung des bereits auf dem Blog veröffentlichten Beitrags über ID-Kontrollen gedacht und stützt sich dazu auf die konkrete Erfahrung einer „anlasslosen ID-Kontrolle“ in Dannenrod.
Laut der Polizei handelte es sich bei dieser um eine banale Verkehrskontrolle; doch am Fahrrad wurde keinerlei Interesse gezeigt und sofort wurde ein Personalausweis gefordert. Das im Demonstrationsgesetz verankerte Recht zu Mahnwache zu gehen wurde von den Polizisten negiert: da die betroffene Person offensichtlich keine deutsche Staatsangehörigkeit hatte (und verweigerte sich zu identifizieren), mussten sie überprüfen ob es sich nicht um eine illegal in Deutschland verbleibende Person handelle. Daraufhin wurde die Person abtransportiert.
Einer der beteiligten Polizisten (namens Kalotai) freute sich explizit darüber wie leicht das ihm zu Verfügung stehende „Ausländerrecht“ es ihm erlaubt „Ausländer einfach von der Strasse zu pflücken“ (und als er beim Durchsuchen Kondome fand: „und zu verhindern dass sie sich vermehren“).
Als die Beamten auf der Polizeiwache verzweifelt darüber waren welche Mittel erlaubt seien um anonyme Ausländer zu identifizieren schlug eine Polizistin (Nummer: 27234), die laut ihres Kollegen juristisch „fitter“ ist, Folter vor.
Nachdem die Beamten sich juristisch informiert hatten und die biometrischen Daten (inkl. Fingerabdrücke) aufgenommen wurden, wurde die betroffene Person anonym entlassen.
Dies ist also ein Beispiel einer banalen „anlasslosen ID-Kontrolle“, welche aber zusätzlich den Aspekt Fremdenfeindlichkeit beleuchtet – ein Aspekt der weitere Aufmerksamkeit verdient. Nur weil die betroffene Person eine privilegierte Kategorie von Menschen mit nordeuropäischem Phänotyp zugeschrieben werden konnte, handelte es sich hier nur um eine banale, etwa vier Stunden dauernde Kontrolle.
Eine übliche bürgerliche Reaktion auf solche anekdotische Beispiele faschistoiden Polizeiverhaltens, lautet ungefähr, dass „es überall einige Idioten gibt“, oder, dass „der Verfassungsschutz dabei ist das Problem des Rechtsextremismus innerhalb der Polizei und Bundeswehr anzupacken“ – ähnlich wie wenn das Phänomen Polizeigewalt auf einzelne „Schlägertypen“ reduziert wird anstatt kurz zu überlegen warum alle Schlagstöcke dabei haben, verweigert man so die strukturelle Art der Sache zu erkennen. Hier stellt sich die Frage wie lange das liberale Bürgertum diese Selbsttäuschung aufrecht erhalten kann. Nicht nur ist es peinliche historische Realität, dass der Verfassungsschutz, wie so viele Nachkriegsinstitutionen, selber immer eine rechtsextreme Bastion gewesen ist, auch die heutigen gesetzlichen Entwicklungen zeigen zunehmend faschistoide Züge.
Die polizeiliche Willkür ist nie absolut willkürlich, sondern politisch gefordert. Es ist Teil der normalen Ausübung polizeilicher Arbeit Menschen „von der Straße zu pflücken“ und zu deportieren, unabhängig davon, ob die verantwortlichen Beamten persönlich rechtsextremen Überzeugungen anhängen. Das heißt, dass xenophobe Polizisten (wie der genannte Kalotai) sich zu-recht über die juristische Rückendeckung für ihre Ausländerjagd freuen können, aber auch, dass Menschen die einfach ihre Arbeit machen sich ipso facto an der Suche nach, Festnahme und Deportation von Ausländern beteiligen.
Dies erklärt das peinliche Schweigen des dunkelfarbigen Kollegen Kalotais auf der Fahrt zur Polizeiwache auf die Frage hin wie er sich jeden Morgen dazu motivieren kann sein Uniform an zu ziehen um irgendwo hingeschickt zu werden um Menschen zu verfolgen deren Schicksal es ist im falschen Teil der Welt geboren zu sein – z.B. dort, wo deutsche Panzer ihre Häuser zerstören oder der Klimawandel die Lebensgrundlagen zerstört – und sie zurück Richtung Elend zu deportieren. Zwar blieb seine Stimme leise, doch seine Augen sagten, dass er nicht aus diesem Grund Polizist geworden ist. Es erklärt auch, warum an deutschen Bahnhöfen in Grenzstädten Polizisten ‚willkürliche‘ (phänotypisch nicht europäisch aussehende) Menschen für administrative Kontrollen mitnehmen und dabei behaupten können „nicht fremdenfeindlich“ zu sein, und (fast) alle deutsche Fahrgäste solche Szenen einfach ignorieren und als eine alltägliche Banalität hinnehmen.
Schritt für Schritt, Banalität für Banalität, alltägliche Kontrolle für alltägliche Kontrolle, polizeirechtliche Verschärfung für polizeirechtliche Verschärfung, Polizeiwerbung für Polizeiwerbung, normalisiert sich der fortschreitende Autoritarismus und die institutionalisierte Fremdenfeindlichkeit. Hat das liberale Bürgertum schon auf dem Schirm, dass Deutschland keine AfD in der Regierung braucht um den Weg zu bereiten mit neue Polizeigesetze die polizeiliche ‚Willkür‘ fördern und eine fremdenfeindliche Migrationspolitik?
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Der Rechtsruck lässt sich nicht mit rein ideologische oder kulturellen Faktoren erklären; Bildung, Aufklärungsarbeit usw. allein werden nie ausreichen solange nicht auch die strukturellen, das heißt materiellen, Faktoren angepackt werden. Der materielle Nährboden ist nämlich immer noch da – bleibt ungerührt – und blüht verstärkt, verspricht unter klimakatastrophale Bedingungen immer stärker zu blühen: die Polarisierung des kapitalistischen Weltsystems, die Entwurzelung, Entfremdung, Konkurrenz, Mangel und Krieg in sich trägt. Dazu kommt die Beobachtung dass die technologischen Mittel die der harmonischen Ehe zwischen Staat und Kapital zur Entwicklung einer orwellianischen Dystopie zu Verfügung stehen nie so umfassend waren.
Die These die hier postuliert wird ist, dass die Weiterentwicklung des globalen Kapitalismus ausschließt, dass sich die liberale bürgerliche Demokratie so wie sie heute existiert (eigentlich jetzt schon eine kleptokratische Scheindemokratie) aufrecht erhalten kann und, dass die Verteidigung der sogenannten bürgerlichen ‚Rechtsstaatlichkeit‘ auf Dauer das Entpuppen des Totalitarismus fördert. Innerhalb der Legitimität der Rechtsstaatlichkeit entfaltet sich ein schleichender Prozess von augenscheinlich banalen quantitativen Entwickelungen, die alle an sich rationalisiert und ‚gerechtfertigt‘ werden können; irgendwann aber, ergibt sich aus diesen quantitativen Entwickelungen eine qualitative Veränderung – der Bürger wacht eines Tages auf und muss feststellen, dass er in einem totalitären Staat lebt, in welchem die ihm lieb gewesen Rechten und Freiheiten unter Autoritätsliebe und Gesetzestreue begraben und von Polizeistiefeln platt getreten sind, und er weiß, dass er die Zeichen ignoriert hat.
Das kapitalistische Wachstumsimperativ äußert sich in weltweit von Großkonzernen angetriebener Plünderung, Enteignung und Ökozid (menschliche und nicht-menschliche Heimatvernichtung). Der Klimawandel, der bald große Teile der Welt für Menschen unbewohnbar macht, ist nur ein Aspekt; auch Extraktivismus fossiler Brennstoffe (z.B. Kolumbianische Steinkohle für deutsche Industrie oder Erdöl aus dem Mittleren Osten für deutsche Autos) und seltener Erden (z.B. Bolivianisches Lithium für Elektroautos), Land Grabbing (z.B. für Sojaprodukte), Trinkwasserverschmutzung durch u.a. Minenbau, chemische Industrie und Agrarindustrie (z.B. BASF oder Bayer-Monsanto), und Bodenverarmung bzw. Desertifikation aufgrund exportorientierter Cashcropwirtschaft gehören dazu.
Weltweit werden die soziale und ökologische Lebensgrundlagen auseinandergerissen damit eine unendlicher Fluss an Waren in die privilegierten Weltteile ermöglicht wird und eine kleptokratische Elite ihrem Profit maximieren kann. Genau das ist Ziel und Zweck des wirtschaftlichen Liberalismus, der Kern des bürgerlichen Projekts. Diese ununterbrochene Dynamik kann natürlich nicht anders, als gewalttätig mit den politisch-liberalen Idealen zu kollidieren. Damit sich der bürgerliche Kapitalismus auf einer materiell-wirtschaftlichen Ebene weiterentwickeln kann, muss die politische Freiheit, die individuelle Souveränität, geopfert werden, bzw. müssen die ungeheuren Massen an enteigneten, entwurzelten, von ökologische Kalamitäten betroffene Menschen geopfert werden. Das Wachstum autoritärer und fremdenfeindlicher Staaten ist also eine logische Konsequenz des global-kapitalistischen Wachstums, wenn sowohl die Polarisierung zwischen Privilegierten und Ausgebeuteten innerhalb der Staaten, als auch die globale Polarisierung zunimmt und die von sozialer Desintegration und ökologischen Katastrophen betroffene Subalternen dem geklauten Reichtum hinterher reisen und auch hier, innerhalb Europas, Menschen sich diesem zerstörerischen kapitalistischen Wahnsinn nicht mehr hingeben wollen.
Das heißt, dass es sich hier nicht nur um eine bescheuerte marginale Ideologie, oder vereinzelte rechtsextreme Beamten handelt – es handelt sich hier um eine materiell-strukturelle Sachlage, um die Quintessenz des bürgerlichen Projektes, die politische Ökonomie die jeden Aspekt unserer Gesellschaft zu bestimmen, und alles was noch lebendig und frei ist in dieser Welt, zu dominieren und vermarkten versucht.
Wenn der globale Kapitalismus sich weiter entwickelt, Lebensraum zerstört, Krieg sät und ständig neue Fluchtursachen kreiert, verschärft sich die Polarisierung und dementsprechend entwickeln sich von Angst und Unsicherheit inspirierte Ideologien. Die Symptome sind weltweit zu sehen. Die deutsche bürgerliche Mitte verschließt die Augen, kauft im Idealfall vielleicht Elektroautos anstelle von SUVs, Sojamilch statt Kuhmilch, oder wählt die Grüne Partei, die sich weiterhin am kapitalistischen Wachstumsfetischismus beteiligt und anstatt einen neuen Autobahnbau zu verhindern behauptet, die Demokratie und den Rechtsstaat zu schützen indem sie Unmengen an Polizisten losschickt um Dissidenten (und mögliche illegale Ausländer) festzunehmen und in biometrische Datenbanken aufzunehmen (bzw. zu deportieren).